Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 12.04.2018, Az.: C-550/16, Rechtssache A und S
Familiennachzug auch für Minderjährige, die im laufenden Asylverfahren volljährig geworden sind
Der EuGH hat mit Urteil vom 10.02.2018 entschieden, dass der Familiennachzug zu einem minderjährigen Flüchtling auch dann zu gewähren ist, wenn er während des laufenden Asylverfahrens volljährig geworden ist. Der EuGH hat dies vor dem Hintergrund einer ansonsten drohenden Ungleichbehandlung aufgrund unterschiedlicher behördlicher Bearbeitungsdauer des Asylantrages aus der Richtlinie 2003/86/EG („Familienzusammenführungsrichtlinie“) abgeleitet. Damit hat der EuGH sowohl die Rechtsauffassungen der Kommission, der polnischen sowie der niederländischen Regierung verworfen, die allesamt auf einen anderen – insgesamt für die Reichweite des Familiennachzug ungünstigeren – Zeitpunkt für die Beurteilung der Minderjährigkeit abstellen wollten.
Der Familiennachzug ist innerhalb von drei Monaten ab Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu beantragen.
Damit entspricht die deutsche Rechtslage (§§ 36 Abs. 1, 29 Abs. 2 AufenthG), die ausschließlich an das Vorhandensein eines Aufenthaltstitels des Minderjährigen anknüpft, nicht den Anforderungen der EuGH-Judikatur. Der Gesetzgeber muss demnach aktiv werden und eine entsprechende Übergangsregelung schaffen. Für die Zwischenzeit ist eine richtlinienkonforme Auslegung des § 36 Abs. 1 AufenthG notwendig, um den europarechtlichen Anforderungen gerecht zu werden. Unter Umständen kann auch auf die Auffangklausel des § 36 Abs. 2 AufenthG zurückgegriffen werden.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat bereits auf die Rechtsprechung des EuGH reagiert und mit Beschluss vom 27.04.2017, Az. OVG 3 S 23.18, OVG 3 M 22.18, OVG 3 M 23.18, den Antragsstellern und Klägern, die Mutter und vier Geschwister eines in Deutschland anerkannten Flüchtlings, Prozesskostenhilfe gewährt. Es hat entschieden, dass die Rechtsprechung des BVerwG, wonach der Nachzugsanspruch der Eltern zum unbegleiteten minderjährigen Flüchtling nach § 36 Abs. 1 AufenthG nur bis zu dem Zeitpunkt bestehe, zu dem das Kind volljährig wird (BVerwGE 146, 189), im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union der Überprüfung bedarf. Diese Überprüfung wird dann wohl im Hauptsacheverfahren erfolgen.