Für alle, die mal wieder etwas
anderes lesen wollen als „Corona“. Ein kurzer Überblick über die wichtigsten
Änderungen durch das Migrationspaket (nicht abschließend):
Seit 01.03.2020 ist der letzte große Teil des
Migrationspakets in Kraft: Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz veränderte große
Teile des AufenthG. Der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung und
Erwerbstätigkeit wurde neu geregelt.
Das bisherige Verbot mit
Erlaubnisvorbehalt wurde abgeschafft. Nun dürfen Ausländer mit Aufenthaltstitel
arbeiten, sofern es nicht ausdrücklich verboten ist. Einige Aufenthaltstitel
wurden verändert und erweitert. Außerdem wurde ein beschleunigtes
Fachkräfteverfahren eingeführt. Fachkräfte sollen dadurch schneller einen
Aufenthaltstitel erhalten und arbeiten können. Zudem ist nun die Einreise und
ein zeitlich beschränkter Aufenthalt für die Suche nach einem Arbeits-,
Ausbildungs- oder Studienplatz möglich.
Was sich sonst noch durch das
Migrationspaket geändert hat:
Die Ausbildungsduldung wurde
verändert sowie neue Duldungsformen eingeführt. Daneben gibt es jetzt die
Duldung für Personen mit ungeklärter Identität („Duldung light“) und die
Beschäftigungsduldung. Geduldete mit einer Duldung light trifft u.a. eine
Wohnsitzauflage und ein Arbeitsverbot. Es ist auch möglich, dass eine bisherige
Ausbildungsduldung zur Duldung light herabgestuft wird.
Des Weiteren wurde die
Residenzpflicht in den Ankerzentren auf bis zu 18 Monate verlängert und in den
ersten 9 Monaten des Aufenthalts gilt ein Arbeitsverbot. Die Abschiebehaft kann
nun bis 2022 in Ausnahmefälle auch in normalen Haftanstalten vollzogen werden.
Eine erleichterte Ausweisung von Drittstaatsangehörigen ist nun möglich. Die
Klärung der Identität und Staatsangehörigkeit ist nun eine Voraussetzung der
Einbürgerung. Eingeführt wurde zudem eine verpflichtende
Asylverfahrensberatung. Auch im AsylblG ergaben sich einige Änderungen.
Die Verfassungsmäßigkeit
einzelner Änderungen ist umstritten. Es bleibt also spannend.
In den letzten Monaten gab es einige Änderungen bezüglich des Asyl – und Ausländerrechts im Bundesland Bayern. Einige von diesen Gesetzesänderung werden nach wie vor kontrovers diskutiert; noch nicht alle Änderungen wurden konkludent verabschiedet. Eine Zusammenfassung der Gesetzesänderungen finden sich bald auf der Instagram-Seite der Refugee Law Clinic München.
Unterschiedliche Behandlung von Flüchtlingen mit befristeter Aufenthaltsberechtigung bei Gewährung von Sozialleistungen
In der Rechtssache C-713/17 hatte der EuGH zunächst zu entscheiden, ob Art. 29 der Richtlinie 2011/95/EU die Pflicht begründet, Personen mit einer befristeten Aufenthaltsberechtigung auf Grund von subsidiärem Schutz die gleichen Sozialleistungen zukommen zu lassen, wie Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats. Der EuGH entschied, dass Art. 29 der Richtlinie 2011/95/EUunmittelbar gilt, der Einzelne sich also in Fällen, in denen dieser nicht fristgerecht oder unzureichend in nationales Recht umgesetzt wurde auf diesen berufen kann.
Zudem sollte die Frage geklärt werden, ob Art. 29 der Richtlinie 2011/95 einer nationalen Bestimmung entgegensteht, die Personen mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht zwar die gleiche Sozialhilfe wie Staatsangehörigen gewährt, jedoch bei befristeter Aufenthaltsberechtigung Kürzungen vorsieht. Mit Verweis auf Art. 23 GFK hat der EuGH entschieden, dass eine solche Ungleichbehandlung nicht zulässig ist, Art. 29 der Richtlinie 2011/95/EU also entgegensteht.
Religionsbegriff i.S.d. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b. Richtlinie 2011/95/EU
Der EuGH setzte sich im Urteil vom 04.10.2018 u.a. damit auseinander, ob es für den Religionsbegriff i.S.d. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b. Richtlinie 2011/95/EU erforderlich ist sich als Mitglied einer traditionellen Religionsgemeinschaft auszuweisen.
Der betroffene Iraner kurdischer Abstammung begründete seinen Antrag auf internationalen Schutz damit, dass er sich als „Christ“ betrachte und deswegen im Iran der Verfolgung ausgesetzt sei, brachte jedoch weder Belege noch Erklärungen dafür hervor, ob und wie er seine Religion ausübe.
Der EuGH entschied, dass die Definition des Religionsbegriffs wegen der nicht abschließenden Aufzählung der Schutzgüter (Formulierung „insbesondere“) sehr weit auszulegen sei. Insbesondere schließt der Begriff „Religion“ sowohl „traditionelle“ als auch andere Glaubensüberzeugungen ein. Er verwies auch darauf, dass sowohl das forum internum, d.h. der Umstand Überzeugungen zu haben, als auch das forum externum, d.h. die Bekundung des religiösen Glaubens in der Öffentlichkeit. Nach Meinung des Gerichtshofs greifen mögliche Nachweise darüber in bestimmte geschützte Aspekte des Privatlebens ein.
Vor diesem Hintergrund, kann von einer Person nicht verlangt werden, Erklärungen oder Schriftstücke als Beweis für das Vorliegen von Gründen nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. b. Richtlinie 2011/95/EU.
Die genannten Normen sichern das Recht der Schutzsuchenden einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem unparteiischen und unabhängigen Gremium oder einer Behörde einzulegen. Der EuGH hatte zu entscheiden, ob das Unionsrecht automatisch aufschiebende Wirkung haben muss, wenn der Schutzsuchende vorträgt, dass die Vollstreckung seiner Rückkehrentscheidung die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung berge. Der EuGH verwies darauf, dass die genannten Normen insbesondere im Lichte der Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auszulegen seien.
Die nationalen Regelungen müssen demnach einen wirksamen Rechtsbehelf gegen abschlägige Entscheidungen auf internationalen Schutz und gegen Rückkehrentscheidungen vorsehen; es ist jedoch nicht erforderlich, dass diese Rechtbehelfe automatisch aufschiebende Wirkung entfalten.
Zurückweisung eines Antrags auf subsidiären Schutz wegen Begehung einer schweren Straftat (Art. 17 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2011/95/EU)
Mit Urteil vom 13.09.2018 hat der EuGH im Rahmen eines Rechtsstreits eines afghanischen Staatsangehörigen mit dem ungarischen Amt für Einwanderung und Asyl über die Auslegung des Begriffes der „Begehung einer schweren Straftat“ in Art. 17 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2011/95/EU („Qualifikationsrichtlinie“) als Ausschlussgrund für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes entschieden.
Demnach bestimmt sich dieser ausschließlich anhand des Strafmaßes, das für eine bestimmte Straftat nach dem Recht dieses Mitgliedstaates vorgesehen ist, in dem die Person die Straftat begangen hat. Es ist Sache der zuständigen nationalen Behörde bzw. des zuständigen nationalen Gerichts, die oder das über den Antrag auf subsidiären Schutz entscheidet, die Schwere der fraglichen Straftat zu würdigen, wobei eine vollständige Prüfung sämtlicher besonders schwerer Umstände vorzunehmen ist.
Selbiges gilt auch für die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. Art. 14 Abs. 4 lit. b Richtlinie 2011/95/EU.
Sein Urteil stütze der EuGH u.a. darauf, dass die Richtlinie 2011/95/EU auf Grundlage von Art. 78 Abs. 2 lit. a und b. AEUV erlassen wurde, wonach ein in der ganzen Union gültige einheitliche Asylstatus und ein einheitlicher subsidiärer Schutzstatus für Drittstaatenangehörige gewährleistet werden soll.
Der Beschwerdeführer machte die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 S.1 GG und Art. 19 Abs. 4 S.1 GG i.V.m. Art. 2 Abs.2 S.1 GG bei einer Abschiebung in den Kosovo geltend, um ein Abschiebungsverbot zu erwirken. Der Betroffene leide an einer schwerwiegenden und langandauernden psychiatrischen Erkrankung und die Behandlung psychischer Erkrankungen im Kosovo sei nicht gewährleistet. Zudem sei die knapp begründete Offensichtlichkeitsentscheidung des Verwaltungsgerichtes in Zweifel zu ziehen.
Ein allgemeiner Hinweis darauf, dass immer wieder Abschiebungsverbote zugunsten von Betroffenen aus dem Kosovo festgestellt wurden und nur die Behauptung die psychiatrische Behandlung im Kosovo sei nicht gewährleistet, reicht nicht für die Begründung einer Verfassungsbeschwerde aus. Erforderlich wären konkrete Belege für die mangelhafte Gewährleistung der psychiatrischen Behandlung im Kosovo und die psychiatrische Erkrankung des Betroffenen. Diese lagen zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht vor.
Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Sie erfüllt nicht die Voraussetzungen nach § 93a Abs.2 BVerfGG und wurde nicht zur Entscheidung angenommen.
Zur Abschiebung eines Gefährders bei wahrscheinlicher Verhängung des Todesstrafe, allerdings mit Aussetzung des Vollzugs
Mit Beschluss vom 07.05.2018 hatte das BVerfG über die Ausweisung eines „Gefährders“ nach Tunesien zu entscheiden (vgl. dazu § 58a AufenthG). Der Beschwerdeführer rügte unter anderem, dass die ihm in Tunesien drohende lebenslange Freiheitsstrafe gegen sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verstoße und das BVerwG als zuständiges Gericht seiner Sachaufklärungspflicht nicht hinreichend nachgekommen sei. Dass der Fall nicht einfach gelagert ist, zeigt der Umstand, dass das BVerfG mit Beschluss vom 27.03.2018 eine bereits vorbereitete Abschiebung durch einstweilige Verfügung untersagt hat, um die Verfassungsbeschwerde ausführlich zu prüfen. Die Verfassungsbeschwerde hatte schließlich keinen Erfolg, sie wurde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das BVerfG stellte zunächst klar, dass in der Verhängung einer Todesstrafe bei zugleich bestehender Sicherheit, dass diese nicht vollstreckt wird, kein Verstoß gegen eine menschenwürdige Strafvollstreckung gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG vorliege. Das BVerfG nimmt hierfür Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, wonach es nicht ausschließlich auf die mögliche Verhängung des Todesstrafe ankommt, sondern zusätzlich auf die als möglich erscheinende Vollstreckung dieser Strafe abzustellen ist. Ist die Vollstreckung ausgeschlossen, liegt auch kein Verstoß gegen Art. 3 EMRK ab (vgl. zum Ganzen Rn. 47 ff. des Beschlusses).
Zum anderen widmete sich das BVerfG der drohenden lebenslangen Freiheitsstrafe. Dabei betonte das BVerfG – unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 113, 154 (165) –, dass der Vollzug nur dann der Menschenwürde gerecht wird, wenn jedenfalls eine praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit besteht (vgl. dazu ausführlich Rn. 51 ff. des Beschlusses).
Bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung des angegriffenen Beschlusses nimmt das BVerfG jedoch keine selbstständige Prüfung eines Abschiebungsverbotes zugunsten des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung der vorstehenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen vor. Es hat ausschließlich zu prüfen, ob Art und Umfang der Sachverhaltsermittlung und die rechtliche Wertung durch das BVerwG den verfassungsrechtlichen Garantien gerecht werden. Dem sei das BVerwG hinreichend nachgekommen, weshalb die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat.
zur Strafbarkeit des Kirchenasyls während des Dublin-Verfahrens
Mit Urteil vom 03.05.2018 hat der 4. Strafsenat des OLG München eine Grundsatzentscheidung zur Strafbarkeit des Kirchenasyls während des Dublin-III-Verfahrens getroffen. Unter Aufrechterhaltung des freisprechenden Urteils des AG Freising hat es die Revision der Staatsanwaltschaft als unbegründet verworfen, allerdings zugleich in mehreren Leitsätzen festgestellt, dass der Eintritt in das Kirchenasyl und die Untätigkeit der Ausländerbehörden nicht zum Wegfall der Strafbarkeit wegen unerlaubten Aufenthalts gem. § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG führe. Das Kirchenasyl sei kein in der geltenden Rechtsordnung anerkanntes Rechtsinstitut, weshalb der Eintritt in das Kirchenasyl keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung begründe. Schließliege liege in der Tolerierung des Kirchenasyls als Teil der christlich-humanitären Tradition durch die Ausländerbehörde weder eine stillschweigende noch faktische Duldung. Das OLG hat damit die allgemeine Linie bekräftigt, dass ein Sonderrecht der Kirchen nicht besteht. Kirchenasyl verbiete dem Staat daher kein Handeln und zwinge ihn auch nicht zum Dulden.
Der EuGH hat auf Vorlage des Supreme Court of the United Kingdom entschieden, dass Opfer von früherer Folter keinen Anspruch auf subsidiären Schutz haben. Alleine die Gefahr, dass sich der Gesundheitszustand durch die Folgen der früheren Folter verschlechtert, genügt nicht, um internationalen Schutz zuzuerkennen. Der EuGH betont unter Rekurs auf seine bisherige Rechtsprechung, dass sich der ernsthafte Schaden i. S. der Richtline 2004/83/EG („Qualifikationsrichtlinie“)nicht bloß Folge von allgemeiner Unzulänglichkeiten des Gesundheitssystems des Gesundheitssystems des Herkunftslandes sein darf.
Subsidiärer Schutz ist allerding dann zuzuerkennen, wenn der Herkunftsstaat die Gesundheitsversorgung absichtlich verweigert. Darin könne eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu sehen sein.
Damit folgt der EuGH im Wesentlichen dem Schlussantrag des Generalanwaltes Yves Bot vom 24.10.2017, auf den wir bereits im Oktober 2017 hingewiesen haben.
Unabhängig von der Frage, ob internationaler Schutz zuzuerkennen ist, ist stets ein Abschiebungsverbot zu prüfen, etwa dann, wenn ein Verstoß gegen die EMRK naheliegt (vgl. für das deutsche Recht § 60 Abs. 5 AufenthG).